Nach der Dublin-II-Verordnung der EU ist für jeden in der Europäischen Union eingereichten Asylantrag grundsätzlich nur ein Mitgliedsstaat zuständig. Wenn ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedsstaat Asyl beantragt, der nach der Verordnung nicht zuständig ist, ist ein Verfahren für die „Überstellung“ des Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedsstaat vorgesehen.

In dem beim Verwaltungsgericht  Stuttgart anhängigen Verfahren wehrten sich ein staatenloses palästinensisches Ehepaar aus Syrien und seine drei kleinen Kinder gegen eine Rückführung aus Deutschland nach Italien. Sie hatten Syrien im April 2011 verlassen und waren über Griechenland zunächst nach Italien gekommen; Asyl beantragten sie dort nicht. Es gelang ihnen, nach Deutschland zu kommen, wo sie umgehend einen Asylantrag stellten. Nach der Dublin-II-Verordnung war damit Italien für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig. Den Antragstellern wurde daher mitgeteilt, dass sie dorthin überstellt würden. Hiergegen wehrten sie sich und machten geltend, sie seien in Italien nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Zudem habe man sie in eine Unterkunft eingewiesen, wo sie weder Bett noch Decken erhalten hätten. Sie seien zusammen mit einer weiteren Familie in einem kleinen Zimmer untergebracht gewesen. Es habe auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit gegeben.

 

I.              Entscheidung

Die Bundesrepublik Deutschland ist dazu verpflichtet, Antragsteller, die über Italien nach Deutschland gekommen sind, nicht zurück nach Italien zu überstellen, wenn ihnen dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht. Dies entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart am 02.07.2012, Az.: A 7 K 1877/12 und verpflichtete die, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vertretene, Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus dazu, das Asylverfahren der Antragsteller in Deutschland fortzusetzen.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart geht davon aus, dass die Aufnahmekapazitäten in Italien für Flüchtlinge völlig überlastet seien. Landesweit stehen nur 3.000 Plätze in den Zentren für Asylsuchende zur Verfügung. In Italien sind in den Jahren 2009 17.603 und im Jahr 2008 31.000 Asylsuchenden registriert worden. Die große Mehrheit der Asylsuchenden sei damit ungeschützt, ohne Obdach, ohne Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität und auch die Gesundheitsversorgung sei nicht sichergestellt. Die Betroffenen müssten daher in Parks übernachten, in  leer stehenden Häusern und überlebten nur dank der Hilfe karitativer Organisationen. Angesichts der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme, insbesondere aus Afrika, werde sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern. Nach dieser Sachlage wären die Antragsteller bei einer Rückführung zum Teil gezwungen, ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen und seien von der Obdachlosigkeit bedroht. Die Asylverfahren und Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien weisen daher systematische Mängel auf.

II.            Praxistipp

Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegen das Urteil des VG Stuttgart Berufung einlegt und ob es letztendlich, wie im Fall von Griechenland dazu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht entscheidet, das die Behörden der Bundesrepublik keine Asylsuchenden mehr nach Italien zurück schicken dürfen. Das europäische System, das in der Dublin II-Verordnung festgeschrieben ist, wird immer durchlässiger und es stellt sich schon die Frage, wie lange die verschiedenen europäischen Regierungen zu sehen werden, wie die Gerichte, aufgrund der festgestellten Unzulänglichkeiten, das System infrage stellen.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg, das für die Asylverfahren in Sachsen-Anhalt allein zuständig ist,  hat sich dieser Rechtsprechung nur teilweise angeschlossen und es wird auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes gewartet, das für eine einheitliche Rechtsprechung Sorge tragen muss.

Auch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat einen entsprechenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgehoben und  mit dem am 18.07.2013 veröffentlichten Urteil entschieden,  dass Asylsuchende nicht nach Italien geschickt werden dürfen, weil ihnen dort eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohe. Das VG geht davon aus, dass in Italien etwa jeder zweite Asylsuchende ohne Unterkunft bleibt oder nur für eine kurze Zeit Unterkunft erhält, Az.: 7 K 560/11.