Stichwort: Asyl- und Ausländerrecht

 Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss vom 05.11.2013 Az.: W 7 S 13.30384

 1.Die Asylbegehrende ist russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Eingereist Anfang November 2012 über Weißrussland nach Polen, stellt sie dort den Asylantrag für sich und ihre drei minderjährigen Kinder. Eine Woche später reisten sie in dem Bundesgebiet ein und beantragten am 22.11.2013 Asyl. Bei der Befragung am 08.01.2013 zur Vorbereitung der Anhörung erklärte sie, dass sie in Polen einen Asylantrag gestellt habe. Am 02.09.2013 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Übernahmeersuchen an Polen. Am 03.09.2013 erklärten die polnischen Behörden ihre Zuständigkeit gem. Art. 16 Abs. 1d Dublin II-VO. Mit Bescheid vom 27.09.2013 stellte BAMF die Unzulässigkeit der Asylanträge fest und ordnete die Abschiebung nach Polen an. Dagegen wurden Klage- und Eilverfahren eingeleitet.

Mit dem Beschluss vom 05.11.2013 des Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg, Az.: W 7 S 13.30384, ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage mit der Begründung, dass ein Übernahmeersuchen, das mehr als ein dreiviertel Jahr nach der Einreise gestellt wurde, zu lange Zeitdauer darstellt, welche bei der Ermessenserwägungen bezüglich eines Selbsteintritts nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) einzubeziehen ist.

Das BAMF hätte diese lange Zeitdauer zumindest in seine Ermessenserwägungen bezüglich der Ablehnung eines Selbsteintritts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einbeziehen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall, vielmehr findet sich im angegriffenen Bescheid lediglich der Satz, dass außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, nicht ersichtlich sind. Dies stellt jedoch einen Verstoß gegen die Verpflichtung dar, die Situation des Asylbewerbers nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zu verschlimmern. Es ist deshalb unter Umständen der Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen. Der angegriffene Bescheid leide daher an einem Ermessensausfall, was zu seiner Rechtswidrigkeit führe, so das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg.

2. Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO enthält fünf verschiedene Fallgestaltungen, wobei Art. 16 Abs. 1 Buchst. a Dublin II-VO die Aufnahme nach Maßgabe der Art. 17 bis 19 regelt und Buchst. c, d und e die Wiederaufnahme nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO regelt. In Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO wird als Frist für die Stellung des Aufnahmegesuchs (nach Art. 16 Abs. 1a) drei Monate genannt, andernfalls wird der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Obwohl Art. 20 der Dublin II-VO keine Frist für das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c – e nennt, bedeutet, der Auffassung des Bayerische Verwaltungsgerichts Würzburg zufolge, dies jedoch nicht, dass es im Belieben des BAMF steht, wann ein solches Wiederaufnahmegesuch an den für zuständig erachteten Mitgliedstaat zu richten ist. Dass dieses zügig zu stellen ist, folgt bereits aus dem Vierten und 15. Erwägungsgrund der Verordnung. Der vierte Erwägungsgrund nennt als Ziel insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Nach dem 15. Erwägungsgrund steht die Verordnung im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden und zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21.12.2011 – C 411/10 u.a. ,juris, auch zur Dauer des Asylverfahrens Stellung genommen und ausgeführt, dass der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, darauf zu achten hat, dass eine Situation, in der dessen Grundrechte verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 selbst prüfen.

Die Dublin II-VO bezweckt danach nicht nur, Asylsuchende daran zu hindern, gleichzeitig oder nacheinander Asylanträge in verschiedenen Ländern der EU zu stellen, sondern beinhaltet auch die Begründung von Vertrauensschutz für die Asylsuchenden im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens zur Prüfung der Zuständigkeit des für die Bearbeitung zuständigen Mitgliedsstaates. Verzögert das Bundesamt die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 20 Dublin-II-VO unangemessen lange, muss es den Asylantrag gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO selbst prüfen.

3. Die bisher gängige Rechtsprechung vertritt überwiegend die Auffassung, dass anders als im Fall der nach Art. 17 der Dublin II-VO geregelten Aufnahme die Wiederaufnahme nach Art. 20 der VO eine entsprechende Frist für den ersuchenden Staat nicht vorsehe. So dass die Überstellungsentscheidung des BAMF hinsichtlich der Fristen zur Übernahmeersuchens nicht zu beanstanden seien. (so Verwaltungsgericht Magdeburg Beschl. v. 25.07.2013 – 4 B 209/13 MD)

Weitere positive Entscheidungen, welche das Selbsteintrittsrecht bei unangemessen langer Verzögerung der Stellung des Wiederaufnahmegesuchs begründen:

VG Göttingen, Beschluss vom 11.10.2013, Az.: 2 B 806/13;

VG Göttingen, Urteil vom 25.7.2013, Az.: 2 A 652/12,

VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2012, Az.: 22 L 1158/12 A.

4. In der Folgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III-VO) sind Ausschlussfristen auch für die Fälle des Wiederaufnahmegesuchs enthalten.

Nach Art. 23 Abs. 2 Dublin-III VO ist ein Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 9 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen. In Art. 23 Abs. 3 der Dublin III-VO ist ausdrücklich geregelt, dass nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist der Mitgliedssaat zuständig wird, in dem der Asylantrag gestellt wurde.

Dublin III-VO tritt gemäß Artikels 49 Abs. 1 am 19.07.2013 in Kraft und sie ist gemäß Art. 49 Abs. 2 auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 01.01.2014 gestellt werden.

Mariyana Marinova LL. M.