AsylG § 29 I Nr. 1, 34a I 1; Dublin III-VO Art. 25 II, 34 I lit b, 34 II

Nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), ist zur Überstellung eines Antragstellers in den für ihn zuständige Mitgliedstaat eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung notwendig, um beurteilen zu können, nach welcher Rechtsgrundlage die Angelegenheit zu entscheiden ist.

VG Magdeburg, Beschl. v. 18.8.2017 – 8 B 358/17 MD

Zum Sachverhalt: Die Antragstellerin, eine Somali, die über Italien nach Deutschland eingereist ist, begehrt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der die Unzulässigkeit des Asylantrages wegen der italienischen Zuständigkeit anordnet, § 29 I Nr. 1 AsylG, die Abschiebung nach Italien angeordnet und festgestellt hat, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen.
Im Rahmen der Anhörung gab die Antragstellerin an, ihr sei in Italien „Asyl gewährt“ worden. Dort habe sie einen fünfjährigen Aufenthaltstitel erhalten. „Papiere“ habe sie bekommen, diese allerdings verloren.
Nachdem das BAMF ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet hatte, welches unbeantwortet blieb, Art. 25 II Dublin III-VO, erlies es einen Ablehnungsbescheid. Im Rahmen der Prüfung der Unzulässigkeit des Antrags stellte das Bundesamt auf § 29 I Nr. 1 AsylG ab und führte aus, dass – sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellen, dass die Antragstellerin entgegen der bisherigen Erkenntnislage bereits in einem anderen europäischen Staat internationalen Schutz erhalten hat, es gleichwohl bei der Unzulässigkeit des Antrags bliebe. Die Abschiebungsanordnung stützte das Bundesamt auf § 34a I 1 AsylG. Auf die Frage eines ggf. bereits zuerkannten Schutzstatus durch die italienischen Behörden ging das BAMF in seinem Bescheid nicht ein. Auf Verfügung des Verwaltungsgerichts teilte das BAMF mit, dass nunmehr ein Auskunftsersuchen an die italienischen Behörden gestellt worden sei, um den Status der Antragstellerin aufzuklären.
Aus den Gründen: Das Verwaltungsgericht ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage an.
1. Grundlage der erlassenen Abschiebungsanordnung ist § 34a I 1 AsylG. Erforderlich für die Anwendung dieser Rechtsgrundlage ist nach Wortlaut und Gesetzessystematik, dass sich der betroffene Ausländer noch im Dublin-Verfahren befindet, ansonsten würde es zur Anwendung des Rückführungsabkommen kommen. Ob dies der Fall ist, hat das Bundesamt im Rahmen der bestehenden Amtsermittlung zu prüfen. Denn es mag für die Beurteilung der Unzulässigkeit des Asylantrages möglich sein, die Rechtsgrundlage im Falle bereits bestehenden internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat auszutauschen (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 28.3.2017 – 3 L 178/15 –, Rn. 29, juris). Eine Abschiebungsanordnung kann jedoch nicht in eine Abschiebungsandrohung umgedeutet werden. Denn letztere ist nicht als „Minus“ in einer Abschiebungsanordnung enthalten. Vielmehr stellen beide Institute unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung dar (OVG Sachsen, Beschl. v. 31.5.2017 – 5 B 19/17.A -, Rn. 9, juris).
2. Die erforderliche Sachverhaltsaufklärung hat das BAMF nicht vorgenommen, so dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits nicht feststeht, nach welcher Rechtsgrundlage der Sachverhalt überhaupt zu beurteilen ist. Denn die Antragstellerin hat im behördlichen Verfahren angegeben, ihr sei in Italien bereits internationaler Schutz gewährt worden. Daraufhin hat das Bundesamt – ebenso wie in anderen Verfahren, in denen ein solcher Sachvortrag nicht erfolgt, auch – lediglich ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet und mit Eintreten der Übernahmefiktion, Art. 25 II Dublin III-VO, einen Ablehnungsbescheid erlassen. Durch diese Maßnahme hat das BAMF seiner Ermittlungspflicht nicht genügt. Denn im Falle derartiger Sachverhaltsunklarheiten sieht Art. 34 I lit b Dublin III- VO einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten vor. In diesem Auskunftsverfahren ist der ersuchte Mitgliedstaat nach Art. 34 II Dublin III-VO verpflichtet, dem ersuchenden Mitgliedstaat binnen fünf Wochen, Art. 34 V 1 Dublin III-VO, die angeforderten Informationen zu übermitteln, die sachdienlich und relevant für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz oder die Erfüllung aller Pflichten aus der Dublin III-VO sind. Durch dieses Verfahren besteht für die Beklagte die Möglichkeit, die erforderlichen Informationen zu erlangen, um ihren Bescheid unter Berücksichtigung des dann ermittelten Sachverhaltes auf eine einschlägige Rechtsgrundlage zu stützen. Dieser Sachverhalt kann nicht innerhalb des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorgenommen werden, sondern bleibt letztlich der Hauptsachentscheidung vorbehalten.
Unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Klageverfahrens und des Umstandes, dass Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung bedeuten, überwiegt das Aussetzungsinte- resse der Antragstellerin derzeit das öffentliche Vollzugsinteresse.
Das erkennende Verwaltungsgericht Magdeburg weist darauf hin, dass nach hinreichender Sachverhaltsaufklärung ggf. eine Abänderung der Entscheidung zu beantragen ist und dann kann der Bescheid im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig anerkannt werden.
3. Das VG Magdeburg macht mit dieser Entscheidung deutlich, dass die Fiktionswirkung, die sich aus Art. 25 II Dublin III-VO ergibt, nicht dazu führen darf, dass keine Sachaufklärung durch das BAMF durchgeführt wird. Die bloße Mitteilung an Italien, im Wiederaufnahmeverfahren, Art. 23 – 25 Dublin III-VO, auf die in der Regel nie eine Antwort aus Italien zurückkommt, darf nicht dazu führen, dass die Antragsteller in ihren Rechten verletzt werden, indem eine ausreichende Sachaufklärung nicht vorgenommen wird.