Bei der Frage, wie sich die Regelleistung nach SGB II für den Leistungsberechtigten zusammensetzt, wenn eine Bedarfsgemeinschaft aus einem SGB-II-Leistungsempfänger und einem AsylbLG-Leistungsempfänger besteht, wird nach der gängigen Praxis des Leistungsträgers der Gesetzestext so ausgelegt, dass § 20 Abs. 4 SGB II zur direkten Anwendung kommt mit dem Ergebnis, dass der Leistungsberechtigte nur 90 vH der Regelleistung erhält. Dieser Ansicht stehen Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Norm entgegen.

Das Bundessozialgericht hat im Verfahren Az.: B 14 AS 171/10 R mit dem Urteil vom 06.10.2011 anlässlich eines solchen gemischten Falles festgestellt, dass SGB II an dieser Stelle lückenhaft ist,  § 20 Abs. 2 SGB II in der maßgebliche Fassung nicht direkt anzuwenden ist und dass die vorhandene Lücke auch nicht durch § 20 Abs. 3 SGB II idF bis 31.03.2011 bzw. § 20 Abs. 4 SGB idF ab 01.04.2011 nicht zu schließen ist. Der Anspruch des Leistungsberechtigten ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 20 Abs. 2 SGB II und demzufolge muss die Höhe der Regelleistung der vollen Höhe von 374,- EUR entsprechen.

 

Der Gesetzgeber geht bei einer mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaft nach SGB II von Individualansprüchen der Mitglieder aus, weswegen innerhalb einer Familie unterschiedlich geartete Existenzsicherungsansprüche bestehen können. Die Bedarfsgemeinschaft kann auch aus anderen Personengruppen bestehen, die ihren Lebensunterhalt ebenfalls nicht aus eigener finanzieller Kraft decken können, keine Leistungsberechtigte aber nach SGB II sind, sondern denen Leistungen nach SGB XII oder AsylbLG zustehen.

 

Die vom Jobcenter zur Anwendung herangezogene oben zitierte Rechtsnorm umfasst gesetzlich ihrem Wortlaut nach Sachverhalte, bei denen zwei volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft bei Berücksichtigung identischer Regelbedarfe gleich behandelt werden. Der Wortlaut des § 20 Abs. 4 SGB II in der maßgebende Fassung ab 01.04.2011 lautet: „Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, ist als Regelbedarf fürjede dieser Personen ein Betrag in Höhe von monatlich 328 Euro anzuerkennen.“ Auch die bis 31.03.2011 geltenden Fassung des § 20 Abs. 3 SGB II entspricht ebenfalls dieser Rechtsgedanke, wie der Wortlaut lautete: „Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, beträgt die Regelleistung jeweils 90 vom Hundert der Regelleistung nach Absatz 2.“

 

Bei einer Anspruchsberechtigung nach dem SGB XII kommt eine analoge Anwendung der Norm des § 20 Abs. 4 SGB II, die eine reduzierte Regelleistung für den Anspruchsberechtigten nach SGB II vorsieht, in Betracht, wie das Bundessozialgericht entschieden hat: „Im Fall einer so genannten „gemischten Bedarfsgemeinschaft“, bei der eine Person nach dem SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende – und die andere nach dem SGB XII – Sozialhilfe – leistungsberechtigt ist, erhält der Partner der Bedarfsgemeinschaft, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und nach dem SGB XII leistungsberechtigt ist, Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 90 vom Hundert des Eckregelsatzes“ (BSG Urteil vom 16.10.2007 Az.: B 8/9b SO 2/06 R, zitiert nach juris). In diesem Fall handelt es sich um Vergleichbarkeit der Interessenlagen im SGB II und SGB XII.

 

Bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft mit einem Leistungsberechtigten nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz handelt es sich dagegen um keine Vergleichbarkeit der in den Bedarfen angesetzten Positionen, da dem AsylbLG das Sachleistungsprinzip, d.h. die konkret-individuelle Bedarfsdeckung durch Sachleistungen, zugrunde liegt, während beim SGB II vom Konzept pauschalierter, also abstrakter Bedarfsdeckung ausgegangen wird. Der Leistungsberechtigte nach SGB II befindet sich in diesem Fall in einer wirtschaftlichen Situation, welche mit derjenigen eines Leistungsberechtigten vergleichbar ist, der alleinstehend ist oder dessen Partner jedenfalls nicht in den Genuss der vollen Regelleistung für Erwachsene kommt. Somit steht ihm der Anspruch auf volle Regelleistung aus der analogen Anwendung des § 20 Abs. 2 SGB II zu. (BSG Urteil vom 06.10.2011, Az.: B 14 AS 171/10 R).

 

Mariyana Marinova, LL.M.
Advokat