Die Frage, was unter einem grobem Behandlungsfehler zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen er im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Schädigungsfolgen führt, hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25. 10. 2011 – Az.: VI ZR 139/10 entschieden.[divider]

I. Entscheidung

 

Der Bundesgerichtshof macht deutlich, dass die Bewertung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grober Behandlungsfehler weitgehend im tatrichterlichen Bereich liegt. Er stellt jedoch klar, dass er berechtigt ist, revisionsrechtlich sowohl nachzuprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt hat als auch, ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Acht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat. Er hat weiterhin darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob oder nicht grob einzustufen ist, um eine juristische Wertung handelt, die der Tatrichter ohne vollständige Aufklärung des Sachverhaltes nicht dem medizinischen Sachverständigen überlassen darf. Der Tatrichter muss darauf achten, ob der Sachverständige bei seiner Würdigung einen Verstoß gegen elementare medizinische Erkenntnisse oder elementare Behandlungsstandards feststellt oder lediglich eine Fehlentscheidung in einer mehr oder weniger schwierigen Lage trifft. Wenn der medizinische Sachverständige das ärztliche Handeln einerseits noch für nachvollziehbar hält, sich andererseits aber deutlich vom Vorgehen des Arztes distanziert, hat er die Äußerungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen und sowohl die für eine solche Behandlung geltenden Sorgfaltsmaßstäbe als auch die tatsächlichen Voraussetzungen eines groben Behandlungsfehlers – gegebenenfalls erneut – mit dem Sachverständigen zu erörtern.

 

Der BGH bestätigt in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines groben Behandlungsfehlers und stellt ausdrücklich klar, dass es für die Beurteilung eines groben Behandlungsfehlers nicht auf die subjektive Vorwerfbarkeit ankommt, sondern ein Fehlverhalten festzustellen ist, dass das Verhalten des Arztes aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheinen lässt (BGH, Urt. v. 26.11.1991 – VI ZR 389/90). Zur Begründung führt der BGH aus, dass die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden ist, sondern daran anknüpft, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers sowie seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt dem Patienten den Kausalitätsbeweis nach Treu und Glauben nicht zumuten kann. Auf diese Beurteilungskriterien muss das Tatgericht den Sachverständigen hinweisen und dessen Einschätzung kritisch hinterfragen.

 

II. Praxistipp

Es kommt auf die objektive medizinische Betrachtungsweise bei derartigen Fallkonstellationen an.