Kinderförderungsgesetz

Der sachsen-anhaltische Gesetzgeber hat mit der Novellierung des Kinderförderungsgesetzes am 13. Dezember 2012 die Kindertagesbetreuung neu strukturiert und die Aufgabe der Kinderbetreuung wird mit Beginn des neuen Schuljahres zum 01. August 2013 auf die Träger der örtlichen Jugendhilfe, den Landkreisen, rückübertragen.

Die Entwicklung der Kinderförderung in Sachsen-Anhalt

Das Kinderförderungsgesetz (KiFöG) vom 5.3.2003 löste das Kinderbetreuungsgesetz (KiBeG) vom 26.6.1991 ab, das den gesetzlichen Rahmen bildete für den Besuch von Kindern in den entsprechenden Einrichtungen bis zur Versetzung in das 7. Schuljahr und soweit die Kinder noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hatten. Ein ganztägiger Platz in den Einrichtungen umfasste ein Betreuungsangebot von mindestens zehn Stunden, § 13 II KiBeG. Mit der Änderung dieses Gesetzes zum 12.11.2004 wurde der Rechtsanspruch von einem ganztägigen Platz auf fünf Stunden beschränkt, wenn eine Erwerbstätigkeit oder eine andere Beschäftigungspflicht der Eltern nicht vorlag, § 3 I Nr. 3a KiFöG bzw. die Mutter dem Mutterschaftsschutz unterlag und der Vater erwerbstätig ist § 3 I Nr.3c KiFöG. Der Grund dieser Einschränkung, der damaligen CDU/FDP Landesregierung war, dass das Land seine finanzielle Förderung zurücknehmen wollte und auch die Verantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder sollte stärker betont werden. Das hier gegen angestrengte Volksbegehren, das maßgeblich von der Partei „Die Linken“ betrieben worden war, war dann nicht erfolgreich. Die Rückkehr zum ganztägigen Anspruch wurde aber immer wieder diskutiert und stand auf der Agenda der politischen Themen.

Die derzeitige Änderung des Kinderförderungsgesetzes

Das Ziel des Gesetzgebers mit der Novellierung des KiFöG ist es möglichst allen jungen Menschen einen guten Start in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und dies soll insbesondere dadurch erreicht werden durch eine intensive Nutzung der Kindertageseinrichtungen und durch den Ganztagesplatz, unabhängig vom Familienstand, Familieneinkommen und der Beschäftigungslage der Eltern. In Sachsen-Anhalt hängt der Bildungserfolg nachwievor sehr stark von der sozialen Herkunft des Kindes ab. Nach Ansicht der Landesregierung wird sich allerdings die Zahl der Kinder unter 3 Jahren kontinuierlich verringern, während die Zahl der Kinder im Hortalter bis zum Jahr 2017 einen Höchststand erreicht. Der Gesetzgeber hat die Entwicklung der Kinderzahlen in den drei Kategorien „Kinder im Krippenalter“, „Kinder im Kindergartenalter“ und „Kinder im Hortalter“ bis zum Jahr 2025 fortgeschrieben und die „Fünfte Regionalisierte Bevölkerungsprognose“ als Grundlage seiner Entscheidung herangezogen. Die wesentlichsten Änderungen sind der Ganztagesanspruch für alle Kinder, als ein regelmäßiges Betreuungsangebot für noch nicht eingeschulte Kinder von zehn Stunden je Betreuungstag oder 50 Wochenstunden sowie für Schulkinder ein ganztägiger Platz von sechs Stunden je Schultag und ein entsprechender Ganztagesanspruch in den Schulferien. Der Anspruch richtet sich jetzt nicht mehr gegen die Gemeinde, sondern die Leistungsverpflichtung wird ab dem 01. August 2013 auf die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, § 3 IV KiFöG, und damit auf die elf Landkreise und drei kreisfreien Städte des Landes übertragen. Die Verlagerung der Zuständigkeit wird begründet, dass mit den abnehmenden Kinderzahlen es zu einem Interessenskonflikt zwischen den Gemeinden als Träger eigener Kindertagesstätten und anderen Träger kommen würde, so dass die finanzielle Verteilung der Mittel durch die Landkreise gelenkt werden muss. Es wird somit befürchtet, dass die Gemeinden ihre eigenen Einrichtungen bevorzugen. Darüber hinaus ändert sich auch die Finanzierung der Kinderförderung. Es kommt nunmehr zu einer konkreten Vereinbarung zur Mittelzuweisung zwischen dem Landkreis, als Träger der örtlichen Sozialhilfe und dem Betrieb der jeweiligen Tageseinrichtung. Die konkrete finanzielle Zuweisung durch das Land erfolgt nunmehr über monatliche Zuweisungen abhängig von den oben ausgeführten Altersgruppen. Finanziell beteiligen müssen sich neben dem Land auch die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die Eltern und die jeweiligen Kommunen. Die Gesamtkosten für die Kinderbetreuung belaufen sich auf ungefähr 450 Millionen €, so dass das Land diesen Bereich von seinen allgemeinen Sparbemühungen ausnimmt und die finanzielle Förderung der Kinder weiter ausbaut.

Das Prinzip der konkreten Zuweisung der finanziellen Mittel des Landes funktioniert aber nur dann, wenn die Eltern wissen, wann sie jeden Tag des Monats ihr Kind abholen können, sodass es ist eher davon auszugehen, dass die Betreuungsverträge mit einem „Sicherheitspuffer“ von den Eltern abgeschlossen werden.

Verfassungsrechtliche Vorgaben

Problematisch erscheint allerdings die Verfassungsmäßigkeit der Aufgabenverlagerung auf die Landkreise bzw. die drei kreisfreien Städte, wobei der Grundsatz der „Angemessenheit der Kostenübertragung“, vom Land in der Begründung zum Gesetzentwurf penibel eingehalten worden ist. Das Landesverfassungsgericht hatte in seinen vergangenen Entscheidungen immer deutlich gemacht, dass der Landesgesetzgeber einen weiten Spielraum hat bei der Finanzierung der Gemeinden, jedoch muss es immer einen angemessenen Ausgleich geben für die Aufgaben, die das Land den Gemeinden überträgt.

Mit der Änderung des Kinderfördergesetzes richtet sich nunmehr der Anspruch auf Betreuung gegen den amtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, den Landkreis oder die kreisfreien Städte, in der das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Daher wurde die zuständige Behörde ebenfalls angepasst, § 39 V 1 SGB VIII, welche nunmehr der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist. Begründet wird die Änderung der Zuständigkeit mit dem oben dargestellten Interessenkonflikt, wenn bei abnehmender Kinderzahl die kommunale Einrichtung mit der in freier Trägerschaft konkurriert. Es wird somit einem Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität vorgebeugt, der von einer Vielzahl von Einrichtungen der Jugendhilfe ausgeht und festlegt, dass sowohl Leistungen der Jugendhilfe von den Trägern der freien Jugendhilfe als auch von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe erbracht werden.

Den Gemeinden in Sachsen-Anhalt wurde damit eine Zuständigkeit entzogen, die seit der Einführung des Gesetzes zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen vom 26.6.1991 ihnen übertragen war, so dass eine Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 2 III, 87 SachsAnhVerf vorliegt.

Nach Art. 87 II SachsAnhVerf sind die Kommunen berechtigt und verpflichtet alle in ihrem Gebiet öffentlichen Aufgaben selbstständig wahrzunehmen, soweit nicht bestimmte Aufgaben im öffentlichen Interesse durch Gesetz anderen Stellen übertragen sind. Mit der Änderung des KiFöG wurde nach § 3 IV KiFöG der Anspruch auf Betreuung von der jeweiligen Gemeinde auf den Landkreis verlagert. Das Landesverfassungsrecht differenziert nicht, ob es sich um eine Aufgabe des eigenen oder des übertragenen Wirkungskreises handelt, §§ 4, 5 SachsAnhGO, sondern verlangt nur bei der Aufgabenverlagerung ein öffentliches Interesse. Das Bundesverfassungsgericht hat in der  „Rastede-Entscheidung“ im Jahre 1988 deutlich gemacht, dass „den Gemeinden eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses,“ vor allem also dann entzogen werden kann, „wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre und wenn, die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art 28 II 1 GG überwiegen“. Begründet wird dies mit der Allzuständigkeit der Gemeinden und der historischen Entwicklung. Das Bundesverfassungsgericht machte damals deutlich, dass hieraus sich auch eine Gewährleistungspflicht für kommunale Aufgaben ergibt. Insoweit engt das Bundesverfassungsgericht die Aufgabenverlagerung ein, indem es auf den „relevanten örtlichen Charakter“ Bezug nimmt und verlangt weiterhin, dass die ordnungsgemäße Aufgabenstellung nicht sichergestellt wäre. Die Kinderbetreuung hat einen örtlichen Bezug, denn sie ist ein Teil des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird nicht darauf abgestellt, dass diese Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung von den Kommunen nicht ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. In der weiteren Begründung zum Gesetzentwurf wird nur darauf abgestellt, dass es zu dem oben aufgeführten Interessenkonflikt zwischen den Gemeinden und den freien Trägern kommen könnte, was gegen den Subsidiaritätsgrundsatz der §§ 3, 4 SGB VIII verstoßen würde. Unter dem Subsidiaritätsgrundsatz versteht man den Grundsatz, dass nach § 4 II SGB VIII die öffentliche Jugendhilfe von geeigneten Maßnahmen absehen soll, wenn andere geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden.

Die Begründung im Gesetzentwurf der Landesregierung geht daher ohne jedes nähere Beispiel davon aus, dass es ohne die Verlagerung der Zuständigkeit auf den jeweiligen Landkreise zu einem Verstoß gegen den Subsidiaritätsgedanken des Jugendhilferechtes kommen könnte und lässt den möglichen, oben darstellten Interessenkonflikt ausreichen, um diese Verlagerung der Zuständigkeit zu begründen. Der Landesgesetzgeber hat in seiner „dürren“ Begründung keinen konkreten Missstand aufgeführt, die „Rastede-Entscheidung“ verlangt dagegen das konkrete Vorliegen einer mangelnden Aufgabenerfüllung. Für die zweite Bedingung, nämlich die Begründung für eine Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzips, Art. 28 II 1 GG, wird vom Landesgesetzgeber überhaupt nichts vorgetragen. Die Aufgabe der Kinderbetreuung ist eine Aufgabe des eigenen Wirkungskreises, die nicht notwendigerweise von den Landkreisen durchgeführt werden muss. Mit der abgeschlossenen Gemeindegebietsreform 2009 – 2011 hat der Landesgesetzgeber leistungsfähige Gemeinden geschaffen, die als Einheits- oder Verbandsgemeinde die notwendige Verwaltungskraft haben, um die Aufgaben der Kinderbetreuung vor Ort durchzuführen. Das Landesverfassungsgericht hat immer wieder betont, dass das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip des Grundgesetzes sich auch in der Landesverfassung wiederfindet. Es ist daher von der Verfassungswidrigkeit der Verlagerung der Zuständigkeit auszugehen, denn sie scheitert an der mangelnden Begründung, dass die Gemeinden nicht in der Lage sein sollen, die Kinderbetreuung eigenverantwortlich zu gewährleisten. Der Autor hat einen entsprechenden Fachartikel bereits bei einer juristischen Fachzeitung eingereicht, der demnächst mit einer ausführlichen Begründung dieser Problematik erscheinen wird.